Herr Schmidt, Sie bieten regelmäßig Seminare zu „Tod, Sterben und Trauer“ an. Warum?
Tim Schmidt: Tod, Sterben und Trauer sind immer noch Tabu-Themen. Das möchte ich ändern. Wir müssen lernen, dass Beziehungen durch den Tod endgültig enden können. Das ist nicht nur für Freiwillige wichtig, die damit im Dienst direkt konfrontiert sind. Es gehört auch zum Erwachsenwerden dazu, dass man mit Sterben und Trauer umgehen kann. Wir müssen das Abschiednehmen lernen, um gut leben zu lernen.
Sind denn Tod und Trauer ein Thema für Freiwillige?
Tim Schmidt: Ja. Die Freiwilligen im sozialen Bereich, im Altenheim oder im Krankenhaus, kommen damit in Berührung. Die fragen zum Beispiel, wie sie mit trauernden Angehörigen umgehen sollen. Aber auch Freiwillige in Kindergärten, Schulen oder Wohngruppen für Menschen mit Behinderungen betrifft das Thema. Oft kommen Fragen, wie Kinder oder Menschen mit Behinderungen mit dem Tod umgehen. Freiwillige aus anderen Bereichen bringen eher eigene Trauererfahrungen ein. Sie berichten vom Tod naher Verwandter oder wie sie Freunde durch Unfälle verloren haben. Man kann hier Privates und Dienst schwer trennen – das wäre auch falsch.
Sie sagen, Tod und Trauer sind Tabu-Themen. Wie meinen Sie das?
Tim Schmidt: Aus meiner Arbeit als Gemeindepädagoge weiß ich: Immer weniger Menschen können sich heute von den Toten verabschieden. Der Trend zu anonymen Bestattungen nimmt zu. Manche wollen gar keine Trauerfeier. Aber man kann ein Leben nicht einfach so „entsorgen“. Eine angemessene Beerdigung und ein Grab mit Namen und Lebensdaten sind wichtig, damit Hinterbliebene im Trauerprozess vorankommen. Ich merke immer wieder: Die Leute suchen Abstand vom Tod und von dem, was damit zusammen hängt. Dabei sollten wir das Abschiednehmen einüben.
Wie kann man das denn üben?
Tim Schmidt: Da hilft nur, sich ganz konkret mit dem Tod beschäftigen. Ich finde, man muss ihn wirklich begreiflich machen. Das meine ich ganz wörtlich. Man sollte zum Beispiel die Verstorbenen noch einmal berühren, sie anfassen, sie tatsächlich be-greifen. Und über die Verstorbenen reden, sich erinnern, weinen und lachen. In den Seminaren kann ich aus meiner Zeit im Krankenhaus berichten. Ich hatte im Studium als Pflegehelfer gejobbt. Als wir die Verstorbenen wuschen, sie ein letztes Mal berührten, da ist mir klar geworden, wie wichtig es ist, sich auch körperlich von den Toten zu verabschieden. In den Seminaren möchte ich die Freiwilligen für Rituale des Abschieds sensibilisieren. Aber natürlich können die Seminar-Gespräche nur ein Anstoß sein. Sterben, Tod und Trauer sind ein Lebensthema.
Was raten Sie Freiwilligen, die in ihrer Einsatzstelle mit Sterben und Tod konfrontiert werden?
Tim Schmidt: Wichtig ist zunächst, gut für sich zu sorgen. Man sollte auf sich hören und überlegen: Was brauche ich jetzt? Wie fühle ich mich gerade? Dem einen hilft das Gespräch mit einer vertrauten Person. Eine andere geht in die Krankenhauskapelle und zündet eine Kerze an. Hier helfen keine allgemeinen Ratschläge. Außer vielleicht: Man muss sich seiner Gefühle bewusst werden. Und ihnen Raum geben - sie also nicht herunterschlucken.
Wo können Freiwillige Hilfe finden, wenn sie merken, dass sie die Situation überfordert?
Tim Schmidt: Ein erster Ansprechpartner ist oft das Team in der Einsatzstelle. Ein gutes Team kümmert sich gerade in solchen Situationen um die Freiwilligen. In größeren Einrichtungen gibt es auch Sozialarbeiter, Psychologen oder Seelsorger, zu denen man gehen kann. Aber natürlich ist die Seminargruppe ganz wichtig. Sie bleibt während des ganzen Jahres gleich. Die Freiwilligen machen ähnliche Erfahrungen und tauschen sich hier aus. Ich höre oft, dass sich Freundschaften entwickeln und die Freiwilligen auch außerhalb der Seminarwochen Kontakt halten. Als Seminarbegleiter sind auch wir zwischen den Seminaren für die Freiwilligen da. Ich bekomme immer wieder Anrufe oder Mails von Freiwilligen und stehe für Gespräche zur Verfügung.
Wie gehen Sie selbst mit Sterben und Tod um?
Tim Schmidt: Mein christlicher Glaube hilft mir sehr. Die Hoffnung, dass Gott ein Gott des Lebens ist und dass ich aus seiner zärtlichen Hand im Leben und im Sterben nicht falle, die trägt mich. Der Tod erinnert mich immer neu an die Kostbarkeit und Einmaligkeit des Lebens. Daraus kann letztlich ein Wissen erwachsen, dass wir jeden Augenblick genießen sollten.
Zur Person:
Tim Schmidt (42) ist evangelischer Theologe, Gemeindepädagoge und ehrenamtlicher Notfallseelsorger in Berlin. Seit 2006 leitete er für die Diakonie Seminare mit Zivildienstleistenden. Seit 2008 begleitet er auch Freiwillige in einem FSJ.